Nachdem ich im ersten Teil über unsere Erfahrungen mit verschiedensten Ansprechpartnern zur Abklärung von Hochbegabung bzw. Underachievment berichtet habe, widme ich diesen Post dem genauen Hinsehen auf Verhaltensauffälligkeiten, um ein zeitiges und richtiges Einordnen für das Kind und deren Bezugspersonen zu ermöglichen und somit den Weg in echte Hilfe und in eine gesunde Entwicklung zu ebnen.

Das Verhalten richtig einzuordnen ist immens wichtig, damit das Kind so gesehen wird, wie es tatsächlich ist und nicht wie man es haben will. Nur so kann man ihm gerecht werden, anderes ausschließen und Schaden abwenden.

Mädchen und Jungen legen zum Teil unterschiedliche Verhaltensweisen an den Tag, um auf sich und ihre Not aufmerksam zu machen. Sie wollen damit niemanden ärgern und tun dies auch nicht mit Absicht. Oftmals sehen sie dies als letzten Ausweg, nachdem man sie und ihre Bedürfnisse nach „Mehr“ oder „anders“ nicht gesehen hat.

Die Liste ist zusammengetragen aus eigenen Erfahrungen, Austausch mit anderen Betroffenen und Fachpersonen rund um das Thema Hochbegabung. Sie soll Ihnen einen Überblick verschaffen und Ihnen helfen, das Verhalten der Kinder / der Jugendlichen richtig einzuordnen.

Hochbegabte Kinder und Jugendliche verhalten sich zumeist anders, als ihre Altersgenossen und fallen in der Regel durch folgende Eigenschaften auf:

  • sie sind neugierig und interessiert
  • sie stellen sehr viele Fragen
  • sie hinterfragen sehr oft Dinge und Personen
  • sie sind sehr perfektionistisch
  • sie denken übergreifend und vernetzt
  • sie verfügen über eine schnelle Auffassungsgabe
  • sie können sich sehr lange konzentrieren, wenn sie genug gefordert sind
  • sie können sehr gut analysieren
  • sie haben oft altersuntypische und spezielle Interessen
  • sie spielen lieber mit Älteren, als mit ihren Altersgenossen
  • sie diskutieren gern
  • sie lieben Herausforderungen und brauchen diese auch
  • sie mögen keine Wiederholungen
  • sie sind lösungsorientiert
  • sie mögen keine Ungerechtigkeiten
  • sie brauchen Aufgaben mit Sinn
  • sie sind sehr einfühlsam und empathisch und leiden mit anderen mit

Wenn das hochbegabte Kind nicht gesehen wird, wie es ist und man nicht weiß, was es braucht, kommt es sehr häufig zu folgenden Verhaltensweisen, welche absolut ernst zu nehmen und von einem versierten Begabungsdiagnostiker, Schulpsychologen, welcher sich auch im Underachievment auskennt oder einer Fachbeauftragten für Underachievment abzuklären sind. Sie können sich auch an die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V. wenden. Lehrkräfte haben die Möglichkeit sich über ihren Arbeitgeber beraten zu lassen.

Nicht gesehene, ungeförderte Kinder und Jugendliche zeigen sich in folgendem Verhalten:

  1. sie äußern öfters Langeweile
  2. sie zeigen Unlust, Teilnahmslosigkeit, Desinteresse
  3. sie machen Quatsch, sie geben den Clown
  4. sie ziehen sich immer mehr zurück
  5. sie werden immer ruhiger und spielen auch nicht mehr mit anderen
  6. sie sitzen oft weinend im Kiga oder Unterricht
  7. sie werden aggressiv
  8. sie fangen an zu lügen
  9. sie werden depressiv
  10. sie haben Ängste, Kiga- / Schulangst
  11. sie bekommen Panikattacken
  12. sie bekommen Zwänge
  13. sie isolieren sich von allem und jedem
  14. sie erschöpfen aufgrund von Unterforderung (Devianz-Erschöpfung)
  15. im Kleinkindalter haben sie Aversionen gegen Kita allgemein, Erzieher, Ablauf
  16. sie kompensieren über ihr Essverhalten (Mager-/Fettsucht)
  17. sie sind dauerhaft unterfordert und äußern dies auch
  18. sie bleiben der Schule fern und verweigern diese
  19. sie äußern öfters Kopf- und Bauchweh (Klassiker!)
  20. sie verletzen sich selbst
  21. sie bekommen Wutanfälle
  22. sie stellen jegliche Neugier und Motivation ein
  23. sie trauen sich nichts mehr zu
  24. sie halten sich für dumm
  25. sie fangen an zu streiten, damit sie geistige Betätigung haben
  26. sie empfinden Nichtförderung als Liebesentzug
  27. sie schreiben schlechte Noten
  28. sie verlieren schnell die Geduld
  29. sie gelten als „verhaltensauffällig“
  30. sie äußern „Keiner versteht mich“
  31. sie träumen sich weg
  32. sie stören den Unterricht
  33. sie versuchen nicht aufzufallen
  34. sie stellen jegliche Mitarbeit ein
  35. sie machen absichtlich Fehler
  36. sie bekommen Tics
  37. sie verlieren ihr Selbstbewusstsein
  38. sie zweifeln an ihrer eigenen Wahrnehmung
  39. sie verlieren den Bezug zu sich und ihren Bedürfnissen
  40. sie werden plötzlich verhaltensauffällig und hören nicht mehr
  41. manche nässen wieder ein
  42. manche ziehen sich die Haare aus
  43. manche richten die Aggressionen gegen sich, indem sie gegen ihren Kopf schlagen
  44. sie äußern Gedanken an Suizid
  45. manche flüchten sich in Drogen, Alkohol, Kriminalität

Leider werden diese Signale von Erwachsenen sehr oft missverstanden. Schnell kommen dann Kommentare wie:

  • „Er/Sie ist zu faul, hat keinen Bock auf Schule“
  • „Die Eltern sind unfähig, ihr Kind adäquat zu erziehen“
  • „Der/Die ist gestört, psycho, bekloppt“
  • „Er/Sie ist zu sensibel“
  • „Er/Sie stellt sich wieder an“
  • „Er /Sie hat bestimmt Ad(H)s oder Autismus“ usw.

Doch damit wird man dem Kind und auch den Eltern gegenüber ungerecht. Erschwerend kommt außerdem hinzu, wenn Auffälligkeiten falsch interpretiert werden. Gerät man zudem an die falsche Ansprechperson, wird aus den Merkmalen, die Hochbegabte ausmachen, ganz schnell eine oder mehrere Störungen. Die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGHK e.V.) hat deshalb dazu den SENG-Flyer „Falschdiagnosen bei hochbegabten Kindern“ auf ihrer Website veröffentlicht, welchen Sie sich dort downloaden können. Den Link dazu finden Sie hier oben rechts im Menü unter „Links“.

Ich gebe hier nur einige Beispiele davon, wie falsch auch so manche Fachperson, vor allem in Kliniken mit ihrer Einschätzung liegen kann, wenn diese nicht auf hochbegabte Kinder / Jugendliche ausgebildet ist.

  1. Das Kind ist schnell ablenkbar, bringt angefangene Aufgaben oft nicht zu Ende. Es verweigert Hausaufgaben.

Aus der Sicht eines Begabungsexperten hat das Kind Tagträume und eine ausgeprägte Phantasie. Zudem benötigt es intellektuelle Herausforderungen um überhaupt arbeiten zu können.

Aus klinischer Sicht hat das Kind eine Aufmerksamkeitsstörung, ADS, eine Lernstörung, eine Hörverarbeitungsstörung und/oder eine Störung des Sozialverhaltens.

2. Der Jugendliche ist oft launisch und diskutierfreudig.

Aus der Sicht eines Begabungsexperten benötigt er kognitive Herausforderungen und ist perfektionistisch.

Aus klinischer Sicht hat der Jugendliche eine Störung des Sozialverhaltens.

3. Das Mädchen ist sehr emotional und sehr intensiv.

Aus der Sicht eines Begabungsexperten hat sie eine erhöhte Sensitivität. Sie ist also besonders feinfühlig und hat eine intensivere Wahrnehmung als andere. Sie bekommt also mehr mit, als andere.

Aus klinischer Sicht hat sie eine emotionale Störung.

4. Ein Junge macht sich häufig Sorgen und zeigt oft großen Kummer.

Aus der Sicht eines Begabungsexperten ist er idealistisch und setzt sich mit moralischen, ethischen, philosophischen Fragen auseinander.

Aus klinischer Sicht leidet das Kind unter einer Angststörung und Depressivität.

5. Die Jugendliche leidet unter hoher Empfindlichkeit bei akustischen, taktilen und visuellen Reizen wie Lärm, Kleidungsetiketten, Leuchtstofflicht).

Aus der Sicht eines Begabungsexperten hat sie eine senso-motorische Integrationsstörung und erhöhte Sensitivität (Hochsensibilität).

Aus klinischer Sicht hat sie eine auditive Verarbeitungsstörung.

Leider entscheidet sich so, je nachdem an wen man gerät, wie der Weg von Betroffenen weiter verläuft. Entweder man wird endlich „entdeckt, wie man ist“ oder man läuft mit einer Falschdiagnose und falschen Behandlungsmethoden weiter durchs Leben. Mit fatalen Folgen.

Von Jac