Vorfreude
In ein paar Tagen ist es wieder soweit und tausende ErstklässlerInnen dürfen endlich zur Schule gehen. Die Vorfreude und die Erwartungen sind groß. Gehört man dann doch endlich auch zu den „Großen“ und darf mehr als „nur spielen“.
Endlich, ja endlich darf man lernen, Hofpause haben, neue Freunde kennenlernen und Erfahrungen sammeln. Vielleicht findet man ja hier Gleichgesinnte, die genauso sind, wie man selbst. Kinder, die genau so offen, kreativ, voller Forscherdrang und Entdeckergeist sind. Wie lange hat man diesen einen Moment herbei gesehnt und wartet nur noch auf das Go!, um aus seiner Starterbox auszubrechen und die Welt zu erobern. Kindergarten war gestern. Ab jetzt bin ich ein Schulkind voller Neugier und Fragen, welche alle beantwortet werden wollen und welche mich wachsen lassen!
Wer von uns entsinnt sich nicht an diesen magischen Moment, wo noch alles möglich zu sein scheint. Wo bei manchen schon genaue Vorstellungen herrschen, was sie später einmal werden wollen. Wo Ehrgeiz und Motivation spürbar und so manche Eltern froh sind, wenn das Kind denn nun endlich eingeschult ist, weil es sich in den letzten Wochen und Monaten im Kindergarten nur noch gelangweilt hat.
Als Eltern hofft man, dass es dem Nachwuchs in der Schule gefallen und er etwas lernen wird. Wo der Wissensdurst auf eine Weise gestillt werden kann, wie man es mitunter aus den unterschiedlichsten Gründen selbst nicht vermag. Man vertraut darauf, dass alles angenehm verläuft und sich das Kind gut im Klassenverband und in der Schule einfinden wird.
Auf den Boden der Tatsachen
Doch es wird nicht lange dauern und die ersten Eltern werden bald Rat suchen, weil der Nachwuchs sich entweder langweilt, über Bauchschmerzen oder Mobbing in Schule oder Hort klagt. Oder wo das eigene Kind sich plötzlich im Unterricht aufführt wie ein Clown oder ohne ersichtbaren Grund außer Rand und Band gerät und die Lehrkraft an ihre Grenzen bringt. Und manche Kinder werden mit der Zeit immer leiser und ziehen sich zurück.
Was hier so dramatisch klingt, ist ein Querschnitt von Verhaltensauffälligkeiten von Kindern, welche bereits im Kindergarten mehr brauchten als andere. Mehr (geistreichen) Input, mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung, mehr Rückzug, aber auch mehr Aufmerksamkeit, auch wenn sie immer brav und ruhig in ihrer Ecke spielten.
Diese Kinder sind anders als die anderen und diesen kognitiv weit voraus. Sie tragen ein Potential in sich, welches sichtbar gemacht und gehoben werden will. Doch oft wird ihnen mit Unverständnis begegnet und dann wundert man sich, wieso das Kind plötzlich „Probleme macht“. „Bei anderen Kindern funktioniert das doch auch. Wieso bei ihr / ihm nicht?“
Weil das Kind z.B. eine höhere Auffassungsgabe und eine schnellere Verarbeitungsgeschwindigkeit hat. Zudem lernt und begreift es Zusammenhänge rascher. Und deshalb braucht es auch ein anderes Verständnis. Ein echtes Verstehen, worauf es vertrauen kann, um sich zu entfalten wie es ist, nicht wie man es gern hätte. Erst dann fühlt es sich angenommen und bestätigt. Erst dann ist ein Austausch möglich. Erst dann wird es seine Flügel ausbreiten und zeigen, was in ihm / ihr steckt.
Hatte das Kind im Kindergarten nicht die Möglichkeit sich so auszuleben, wie es ist, kommt es bereits „vorbelastet“ und unterfordert in die Schule. Das worauf es sich so ausgiebig gefreut hat, mündet nicht selten dann in Frust, Wut und eben Verhaltensauffälligkeiten. Für Eltern, Lehrer und Erzieher wird auch da das Kind „zum Problem“ und hat damit beizeiten einen Stempel weg, welcher ihm aber in keinster Weise gerecht wird. Man tut ihm unrecht. Weil man selbst unwissend ist, dies aber natürlich nicht weiß, weil das Wissen um hochbegabte Kinder und ihre Persönlichkeit in der Gesellschaft total fehlt.
Damit ist dem Kinde nicht geholfen!
Nicht selten kommt es vor, dass Beteiligte sich gegenseitig den Buh-Mann zuschieben und den Eltern gern mal Erziehungsinkompetenz vorgeworfen wird. So eine Kommunikation verbietet sich jedoch und hilft dem Kind in keinster Weise weiter. Ignoranz und „es aussitzen“ hilft ebenso wenig. Damit verfestigen sich die Symptome beim Kind nur und führen zu weiteren Komplikationen.
Schnell werden auch mal Verdachtsdiagnosen wie ASS oder ADHS in den Raum geworfen und der Ruf nach einem Psychologen laut. Das Kind kann ja schließlich nicht normal sein und bedarf einer diagnostischen Abklärung.
Gerade Kinder, welche noch „unerkannt“ sind, kommen so ganz schnell in einen ungesunden Strudel aus Pathologisierung, (Erwartungs-)Druck und Stress und dem Selbst-Gefühl „Mit mir stimmt was nicht. Mit mir ist etwas falsch.“
Zuhause ist das Kind dagegen meist wie ausgewechselt. Es frönt seinen Interessen, ist wissbegierig, redet viel, fragt viel und alles ist normal wie immer. Woran das liegt? Das Kind befindet sich in seinem persönlichen Schutzraum. Hier kann es sein wie es ist ohne dass jemand es hinterfragt oder ablehnt. Hier ist es nicht „zu viel“.
Angepasst und selbst verleugnet
Im umgekehrten Fall gibt es Kinder, welche versuchen sich anzupassen, um nicht aufzufallen. Vielleicht um Mama und Papa keine Sorgen zu bereiten, keinen Ärger mit der Erzieherin oder Lehrkraft zu bekommen, weil es seine Ruhe haben will, usw. . Die Gründe können vielfältig sein. Ebenso die Methoden, um sich anzupassen. Das nennt man „Masking“ oder auch „Maskierung“.
Das Kind versucht dann so zu sein, wie die anderen Kinder und passt sein ICH dem der anderen an. Es bleibt vielleicht ruhig und geduldig, fragt nicht viel, drosselt sein Lerntempo, auch wenn es sich langweilt. Doch um welchen Preis? Das Kind verleugnet sich selbst, denn es hat gelernt, „mit mir ist etwas falsch.“ „Erst wenn ich so bin wie die anderen, werde ich (vielleicht) akzeptiert und gehöre dazu.“ Doch das ist ein Trugschluss. Aus einem Adler kann man nun mal keine Henne machen. Ebenso wenig, wie man keinen Ferrari mit Trabbis an den Start schicken würde.
Herausforderung
Die Herausforderung liegt also darin, das passende Umfeld für das schnell denkende Kind zu schaffen, damit es sich entfalten kann ohne sich verstellen zu müssen. Damit es eben nicht erst verhaltensauffällig wird und sich gesund und seinen Bedürfnissen gerecht entwickeln kann. Das setzt jedoch die Zusammenarbeit und den echten Willen dazu lernen zu wollen aller Beteiligten voraus. Sind Sie bereit dazu?